Wie sieht NARM das Phänomen Widerstand?
Das Neuroaffektive Beziehungsmodell (NARM), entwickelt von Dr. Laurence Heller, bietet einen innovativen Ansatz zur Arbeit mit Entwicklungs- und Bindungstraumata. Neben seiner Anwendung in der Therapie findet NARM zunehmend auch im Coaching Anwendung, zum Beispiel bei der Unterstützung von Führungskräften, die ihre Selbstführungs- und Beziehungskompetenzen stärken möchten. Widerstand, oft als Hindernis im Veränderungsprozess gesehen, wird im NARM anders betrachtet: nicht als Blockade, sondern als wertvoller Hinweis auf frühere Überlebensstrategien, die in belastenden Kontexten entwickelt wurden (Heller & LaPierre, 2012).
Widerstand: Ein Signal für unbewusste Überlebensstrategien
Aus NARM-Perspektive ist Widerstand ein Ausdruck von Schutzmechanismen, die als Reaktion auf frühere Erfahrungen entstanden sind. Diese Überlebensstrategien dienten ursprünglich der Kompensation unerfüllter Grundbedürfnisse und dem Schutz vor überfordernden Gefühlen oder Zuständen des Nervensystems (Heller & LaPierre, 2012). In der NARM-Arbeit wird Widerstand nicht versucht zu brechen oder zu überwinden, sondern mit Mitgefühl und Neugier untersucht. Dabei wird erforscht, welche inneren Konflikte hinter den "Blockaden" stehen.
Im Coaching zeigt sich Widerstand beispielsweise in Form von Vermeidungsverhalten, Perfektionismus oder der Angst vor Kontrollverlust. Solche Verhaltensweisen sind Hinweise auf unbewusste innere Konflikte und bieten wertvolle Ansatzpunkte für die Selbstreflexion.

Stress, Widerstand und die Neurobiologie: Eine neue Perspektive
Widerstand ist eng mit Stressreaktionen verbunden. Auf neurobiologischer Ebene wird Widerstand durch die Aktivierung des sympathischen Nervensystems verstärkt, das bei wahrgenommenen Bedrohungen in einen „Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsmodus“ schaltet (Siegel, 2012).
Stress und seine Auswirkungen auf das Gehirn
Stress beeinflusst direkt das Gehirn, insbesondere die präfrontale Kortex-Funktion, die für Kreativität, Entscheidungsfindung und Selbstreflexion verantwortlich ist. In einer Stresssituation wird die Aktivität des präfrontalen Kortex heruntergefahren, während das limbische System, insbesondere die Amygdala, Überhand nimmt (Schore, 2019). Dies hat mehrere Auswirkungen:
1. Verminderte Kreativität: Stress reduziert die Fähigkeit, neue Lösungen zu finden und kreative Ideen zu entwickeln – eine essenzielle Kompetenz im Coachingprozess.
2. Erhöhte Fixierung: Statt flexibel auf Herausforderungen zu reagieren, neigen Menschen unter Stress dazu, starre Verhaltensmuster zu wiederholen.
3. Eingeschränkte Selbstregulation: Chronischer Stress erschwert es, Zugang zu Ressourcen wie Geduld, Mitgefühl oder Klarheit zu finden, was den Coaching- oder Therapieprozess erheblich beeinträchtigen kann.
Das heißt also, wenn wir gegen den Widerstand ankämpfen, ist es sehr wahrscheinlich, dass unser Stresslevel steigt, der präfontale Kortex runtergefahren und damit verhindern wir uns wirklich neue und Kreative Lösungen zu finden. Auch wenn es erstmal paradox scheint, zeigt sich, dass durch Akzeptanz und neugieriges Erforschen sehr schnell viel tiefer gegangen werden kann, als wenn wir anfangen uns im kämpfen zu verlieren.
Widerstand als physiologische Reaktion
Im Coaching kann Widerstand als eine Form von Stressreaktion verstanden werden. Wenn beispielsweise eine Führungskraft mit Herausforderungen wie Feedbackgesprächen oder Veränderungsprozessen konfrontiert wird, kann die innere Anspannung eine Stressreaktion auslösen. Die Amygdala interpretiert solche Situationen als Bedrohung, wodurch Widerstand entsteht – sei es durch Vermeidung, Abwehr oder emotionale Überreaktionen.
Wie NARM mit Stress und Widerstand arbeitet
NARM bietet eine effektive Methode, um Stress und Widerstand zu begegnen, ohne die Klient:innen in alte traumatische Erfahrungen zurückzuführen. Der Ansatz fördert:
1. Selbstregulation: Durch die Arbeit im Hier und Jetzt hilft NARM, die physiologische Erregung zu beruhigen und das Nervensystem in einen Zustand von Sicherheit und Entspannung zu bringen. Dies geschieht durch achtsame Selbstwahrnehmung und das Erkunden von Gefühlen ohne Urteile (Heller & LaPierre, 2012).
2. Integration von Ressourcen: Widerstand wird nicht als Problem, sondern als eine Überlebensstrategie gewürdigt. Indem Klient:innen erkennen, wie diese Muster ihnen früher geholfen haben, können sie ein Gefühl der Selbstmitgefühl entwickeln und neue Verhaltensoptionen erkunden.
3. Fokus auf Kreativität und Präsenz: Durch die Reduktion von Stressreaktionen wird der präfrontale Kortex wieder aktiviert, was Kreativität und Reflexion fördert. Klient:innen können dadurch flexibler und offener auf Herausforderungen reagieren.
Fazit
Widerstand ist nicht nur ein psychologisches Phänomen, sondern auch eine neurobiologische Reaktion auf Stress. NARM bietet sowohl in der Therapie als auch im Coaching einen integrativen Ansatz, um mit Widerstand umzugehen, indem es die zugrunde liegenden Überlebensstrategien würdigt und den Stress reduziert, der diese Strategien aufrechterhält. Besonders im Coaching von Führungskräften kann die Arbeit mit Widerstand dazu beitragen, Kreativität, Selbstregulation und authentisches Handeln zu fördern – essenzielle Fähigkeiten für moderne Führung.
Quellen
- Heller, L., & LaPierre, A. (2012). Healing Developmental Trauma: How Early Trauma Affects Self-Regulation, Self-Image, and the Capacity for Relationship. Berkeley: North Atlantic Books.
- Siegel, D. J. (2012). The Developing Mind: How Relationships and the Brain Interact to Shape Who We Are. New York: Guilford Press.
- Schore, A. N. (2019). Right Brain Psychotherapy. New York: Norton.
- Fischer, C. (2019). Coaching und Psychodynamik: Widerstände in Veränderungsprozessen. Wiesbaden: Springer.
- McEwen, B. S., & Sapolsky, R. M. (1995). "Stress and cognitive function." Current Opinion in Neurobiology, 5(2), 205–216.
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